Osteopathie
Osteopathie bei Pferden – eine sinnvolle Ergänzung oder Scharlatanerie?
Zuerst einmal: Was bedeutet eigentlich Osteopathie? Das Wort Osteopathie kommt vom griechischen Wort ósteon, was Knochen heißt, und von páthos, das übersetzt Schmerz oder Leiden bedeutet. Daraus zu folgern, dass Osteopathie ein Knochenleiden beschreibt, wäre aber falsch. Im Gegenteil, eigentlich begründet sich der Ansatz der Osteopathie in der Bewegung und nicht im starren Knochen: Nach der Lehre der Osteopathie zeigt sich Leben in Form von Bewegung. Der gesamte Körper ist ständig in Bewegung, jede einzelne Struktur wie Knochen, Muskeln, Sehnen und Organe bewegt sich und führt dabei ihre ganz eigene Funktion aus. Anhand der jeweiligen Bewegung kann ein Osteopath erkennen, ob eine Struktur auch richtig funktioniert. Der Körper besteht aus unzähligen Strukturen, die unterschiedliche Funktionen haben. Ein Knochen etwa ist eine harte Struktur, die dem Körper Halt gibt, für Festigkeit sorgt und vor Druckbelastung oder Zugbelastung schützt. Ein Muskel hingegen kann sich zusammenziehen und dehnen und ermöglicht so erst dem Knochen, sich zu bewegen. Wenn ein Knochen ständig unter Druck- und Zugbelastung steht, so verändert er sich genauso wie ein verstärkt arbeitender Muskel. Nicht mehr beanspruchte Knochen oder Muskeln werden dagegen schwach und verkümmern. Gleiches gilt für alle anderen Strukturen des Körpers: Ein Mehr an Funktion führt meist zu einem Mehr an Struktur und umgekehrt.
Osteopathie will Bewegungsblockaden lösen.
Für die Osteopathie ist dieses Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit von Struktur und Funktion wichtig. Denn Funktionsstörungen zeigen sich als beeinträchtigte Bewegung einer Struktur. Erst das Zusammenspiel der einzelnen Strukturen ermöglichen dem Organismus, als Ganzes zu funktionieren. Die Osteopathie betrachtet den Körper immer als untrennbare Einheit. Dort, wo Bewegung verhindert wird, etwa durch Verstauchung, Gelenkverklebung oder Verrenkung, wird der Körper krank, er bildet eine oftmals bleibende Bewegungseinschränkung aus, beim Pferd etwa eine Lahmheit. Doch der Körper signalisiert eine Funktionsstörung nicht immer durch Schmerz oder andere Beschwerden. Er ist anpassungsfähig und kann manche Störungen wie Fehlhaltungen, Verspannungen oder sogar Verletzungen oft über lange Zeit ausgleichen. Dabei wird die eingeschränkte Funktion der betreffenden Struktur von anderen Körperstrukturen übernommen. So verlagern sich die Funktionsstörungen und wirken sich auf andere Bereiche des Körpers aus. Die Osteopathie versucht zu helfen, indem sie Bewegungseinschränkungen in der erkrankten Struktur aufspürt und löst. Stimmen die Bewegungen der Struktur wieder, dann kann diese erneut in vollem Umfang funktionieren. Das Ziel der Behandlung ist also immer ein Gewinn an Mobilität. Da das Haltungs- und Bewegungssystem mit allen wichtigen Funktionskreisen des Körpers eng verbunden ist, zeigt die osteopathische Behandlung auch Wirkung auf Atmung, Herz-Kreislauf-System, Stoffwechsel und Psyche. Besonders bei allen Erkrankungen des Bewegungsapparates hat sich die Pferdeosteopathie bewährt, aber auch bei chronischen Krankheiten und vor allem als vorbeugende Maßnahme:
- bei einer andauernden Steifheit und Widersetzlichkeit gegen die Reiterhilfen (z. B. Pferd lässt sich schwer biegen)
- bei unterschiedlichen Formen der Lahmheit (ideal in Absprache mit dem Tierarzt)
- bei Pferden, die sich schlecht die Beine aufnehmen lassen
- bei einer schlechten Kopfhaltung, schlechten Hals- und/oder Schweifhaltung
- in Ruhe und bei der Arbeit nach einer Komplikation beim Abfohlen
- nach einem schweren Sturz (z. B. auf der Stallgasse), um eine nicht unbedingt sichtbare Veränderung der Struktur zu behandeln
- bei einem Leistungstief
- bei nicht erklärbaren Verweigerungen am Hindernis
- bei Taktfehlern in verschiedenen Gangarten
- bei Schmerzanzeichen während oder
- nach der Arbeit
- nach einer Verletzung während der Rehabilitation
Und was macht nun der Pferdeosteopath?
Der Pferdeosteopath nutzt bei der Untersuchung keine weiteren Instrumente oder Hilfsmittel als seine Hände. Durch Abtasten des Gewebes und der Gelenke des Pferdes spürt der Pferdeosteopath Blockierungen auf. Er betrachtet den Körper als Ganzes, daher ist eine ausführliche Erhebung der Krankengeschichte des Pferdes vor einer osteopathischen Behandlung wichtig. Nicht selten werden dazu Befunde aus der klinischen Diagnostik wie Röntgenbilder oder Laborwerte hinzugezogen. Sie helfen, die Möglichkeiten der Osteopathie richtig einzuschätzen. Deshalb sind medizinische Kenntnisse für einen Osteopathen unbedingt notwendig. Pferdeosteopathen müssen Krankheitsbilder und Kontraindikationen erkennen können. Alles, was nicht in sein Ressort fällt, muss den jeweiligen Spezialisten übertragen werden. Stößt der Pferdeosteopath also an seine Grenzen, wird er dem Halter empfehlen, das Pferd dem Tierarzt vorzustellen. Schwere und akute Erkrankungen müssen grundsätzlich erst schulmedizinisch behandelt werden genauso wie Brüche, Verletzungen oder Wunden. Ganz wichtig: Die Osteopathie ist keine Notfallmedizin, die in lebensbedrohlichen Situationen rettend eingreifen kann, sondern sie ergänzt lediglich sinnvoll die Möglichkeiten, die der Tierarzt hat. Dem Organismus bei den körpereigenen Selbstheilungskräften bestmöglich zu helfen ist die eigentliche Aufgabe der Pferdeosteopathie.
Im Team zum gesunden Pferd
Am besten kann der Pferdeosteopath seinem Patienten, dem Pferd, helfen, wenn alle, die sich um das Wohl des Pferdes bemühen, an einem Strang ziehen und miteinander reden. Dazu zählen in erster Linie die Tierärzte. Idealerweise arbeiten Tierarzt und Osteopath in Abstimmung zueinander am Pferd. Des Weiteren sollten auch Physiotherapeuten, Akupunkteure, Hufschmiede, Sattler, Reiter, Besitzer sowie die Trainer aufeinander abgestimmt handeln, denn letztlich wirken alle auf ihre Weise auf das Pferd ein. Ein falsch sitzender Sattel etwa kann zu erheblichen Verspannungen der Rückenmuskulatur führen. In so einem Fall kann der Osteopath noch so gut therapieren – wenn das Problem des schlecht sitzenden Sattels nicht gelöst wird, wird dem Pferd nicht geholfen. Hier sollte dann gemeinsam mit dem Sattler eine Lösung gefunden werden. Ein anderes Beispiel: Oftmals hat eigentlich der Reiter eine Blockade, z. B. in der Hüfte durch stundenlanges Sitzen im Bürostuhl, und hat dadurch keinen lockeren, losgelösten Sitz. Das Pferd wird durch den Reiter ungleich belastet und verkrampft sich, eine Fehlhaltung ist die Folge. Der Osteopath wird in diesem Fall nicht nur das Pferd behandeln, sondern auch den Reiter beraten, wie dieser durch Auflösung der Blockade seinen Sitz verbessern kann.
Woran kann man einen guten Pferdeosteopathen erkennen?
Problematisch ist es derzeit, einen wirklich versierten Pferdeosteopathen zu finden, da sich auf dem Markt auch eine Menge selbsternannte Heiler tummeln Die Ausbildung zum Osteopathen ist nicht staatlich geregelt, die Berufsbezeichnung nicht geschützt, es darf sich also im Grunde jeder so nennen. Deswegen gibt es leider auch immer wieder schwarze Schafe, deren Tun in der Vergangenheit auf die Osteopathie ein schlechtes Licht geworfen hat. Das ist der Grund, weshalb die wirklich gut ausgebildeten Osteopathen immer wieder gegen das Vorurteil ankämpfen müssen, sie seien nur Scharlatane, und warum Tierärzte diese Heilmethode teilweise noch nicht ernst nehmen. Es ist ganz wichtig für angehende Pferdeosteopathen, die Ausbildung an renommierten Einrichtungen zu absolvieren. Davon gibt es in Deutschland nicht viele. Das Deutsche Institut für Pferdeosteopathie (DIPO) in Dülmen zum Beispiel hat einen guten Ruf und achtet darauf, dass zur Ausbildung nur zugelassen wird, wer bereits Tierarzt, Arzt oder Physiotherapeut ist, um das medizinische Fachwissen sicherzustellen. Die Ausbildung dauert zwei Jahre und kann berufsbegleitend laufen. Der Abschluss ist von mehreren Tierärztekammern, dem Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) und der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) anerkannt.
Ein guter Pferdeosteopath sieht immer das Pferd als Ganzes. Er fragt viel und nimmt sich für die Behandlung sehr viel Zeit. Sobald der Osteopath merkt, dass das Pferd eine so ernsthafte Erkrankung hat, dass er nicht weiterkommt, sollte er dem Pferdehalter empfehlen, den Tierarzt hinzuzuziehen. Wer die Ausbildung am DIPO gemacht hat, trägt die Zusatzbezeichnung DIPO-Pferdeosteo-/ Pferdephysiotherapeut. Pferdehalter sollten keine Scheu haben und den Pferdeosteopathen nach seiner Ausbildung fragen. Über das DIPO gibt es zum Beispiel auch eine Therapeutenliste, wodurch die Suche nach einem Osteopathen in der näheren Umgebung recht einfach ist.
Fazit
Pferdeosteopathie kann helfen, Blockaden beim Pferd zu lösen und dadurch dessen Mobilität wiederherzustellen. Sinnvoll abgestimmt mit dem Tierarzt ist die Osteopathie eine durchaus gute Ergänzung zur tierärztlichen Behandlung und für sich alleine bei Erkrankungen des Bewegungsapparates, die keiner tierärztlichen Therapie bedürfen, eine sanfte Heilmethode. Ganz wichtig ist es, bei der Auswahl eines geeigneten Pferdeosteopathen kritisch zu prüfen, wie dieser seine Qualifikation erlangt hat.
Dr. Heike Engels
(tiergesundheit-aktuell.de)
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